Ein kurzes Lächeln huschte über das Gesicht von Jonathan Tah. Ein ganz kurzes.
Tah: Schlachtschiff auf dem Weg zu Löw
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Natürlich hat der 19-Jährige die Gerüchte um die Nationalmannschaft mitbekommen. Auch dass Joachim Löws Assistent Thomas Schneider ihn beim 0:0 gegen den FC Bayern beobachtet hat, dürfte er registriert haben. Doch Tah spielte das Thema herunter.
"Ich habe niemanden gesehen. Deswegen habe ich mich mit dem Thema auch nicht befasst. Ich habe mich voll auf mein Spiel fokussiert", sagte der Leverkusener Abwehrspieler.
Ob er das Thema Nationalmannschaft nun tatsächlich komplett ausblenden kann oder er einfach nur bescheiden und zurückhaltend ist.
Nationalmannschaft? "Klar, irgendwann"
"Klar, irgendwann", antwortete er auf die Frage, ob das DFB-Team ein Ziel für ihn sei. Nachdem sich Bayerns Abwehrchef Jerome Boateng verletzt hat, ist Tah ist ein heißer Kandidat für die DFB-Auswahl und damit auch für die EM in Frankreich.
"Das ist eine Ehre für mich. Aber ich fokussiere mich auf meine jetzigen Aufgaben." Und das ist erst einmal das Viertelfinale im DFB-Pokal am Abend (ab 18.30 Uhr LIVE in unserem Sportradio SPORT1.fm und im LIVETICKER) gegen Werder Bremen.
Während Tah so redet, machen seine 1,92 Meter und die bullige Statur durchaus Eindruck. Sein Teamkollege Christoph Kramer bezeichnete ihn nicht umsonst als "Schlachtschiff". Kombiniert mit seiner tiefen Brummstimme ist er Bayers "Bär", wie Kramer ihn ebenfalls nannte.
Robust und konsequent
Tah ist auf dem Platz robust und konsequent, sowohl am Boden als auch in der Luft. Daneben zeigt er eine Souveränität, die für sein Alter beeindruckend ist. Was ihn auch kennzeichnet, ist ein hohes Maß an Selbstkritik. Wenn einer nur selten zufrieden ist, dann ist es Tah selbst.
Vor der Saison brachte er sich in den USA mit einem Personal Trainer in Form. Da wusste er bereits, dass Bayer trotz einer für ihn eher bescheidenen Saison als Leihgabe des HSV an Fortuna Düsseldorf Interesse an ihm hatte.
Dass sich die rund acht Millionen Euro Ablöse als Top-Investition erwiesen, war nicht abzusehen. Schließlich hatte er zwar mit 17 bereits in der Bundesliga debütiert, sein Aufstieg war beim HSV jedoch ein wenig ins Stocken geraten. Deshalb auch der Umweg über die Zweite Liga. Natürlich wusste Bayer, dass der U21-Nationalspieler ein großes Talent ist, doch dass er so schnell einschlagen würde, hätten wohl auch kühne Optimisten so nicht erwartet.
"Er hat sich in Leverkusen sehr schnell etabliert. Es ist vor allem erstaunlich, dass er so wenige Fehler macht", lobt SPORT1-Experte Thomas Helmer den Jungspund. "Er ist ein interessanter Spieler, der sicherlich für die Nationalmannschaft infrage kommen wird, wenn er seine aktuellen Leistungen weiterhin bestätigt", meint SPORT1-Experte Thomas Berthold, ergänzt jedoch: "Die EM könnte aber möglicherweise zu früh für ihn kommen."
Jede Sekunde auf dem Platz
Bayers Verletztenmisere zu Saisonbeginn spülte Tah in die Stammelf. Seitdem hat er alle 31 Pflichtspiele über die volle Zeit absolviert. Die harte Arbeit im Sommer zahlte sich aus. Denn die Anforderungen von Trainer Roger Schmidt an die Leverkusener Abwehrspieler sind nicht einfach, er lässt sie in seinem laufintensiven und risikoreichen System hoch verteidigen.
"Da konnte man sich ein gutes Bild machen, was wir für ein großes Innenverteidiger-Talent hier haben. Dass Jonathan das Potenzial hat, irgendwann mal in die Nationalmannschaft zu kommen, wissen wir", sagte Schmidt. Sollte das "irgendwann" bereits in den kommenden Wochen sein, wäre es das nächste Kapitel seiner jüngsten Erfolgsgeschichte.
Passend zu seinem Spitznamen, denn in der Mannschaft wird Tah nur "Big Mike" genannt. Aufgrund der durchaus vorhandenen Ähnlichkeit mit dem Footballer Michael Oher. Dessen Aufstieg in die NFL wurde zudem von Hollywood in dem Streifen "Blind Side" verfilmt. Oher gewann 2013 den Super Bowl und stand am Sonntag erneut im Finale.
So weit ist Tah noch nicht. Er bastelt allerdings gerade fleißig an seinem eigenen Märchen.